Medikamente aus dem Labor

Biologika sind keine Naturheilmittel, sondern werden in einem aufwendigen gentechnischen Verfahren hergestellt

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Ein Mensch mit Diabetes „verbraucht“ pro Woche etwa ein Schwein – diese Faustregel galt laut dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie noch in den 80er Jahren. Damals wurden tonnenweise Schweinebauchspeicheldrüsen in Fabriken gefahren, um Insulin für Diabetiker herzustellen. Der schwierige Herstellungsprozess war wenig ergiebig: Aus einer Tonne Schweinematerial konnten nur knapp über 100 Gramm Insulin gewonnen werden. Auch Bauchspeicheldrüsen von Rindern kamen zum Einsatz. Doch diese Zeiten sind vorbei.

Heute finden sich kein Schwein und Rind mehr in Insulin. Stattdessen wird es längst gentechnisch mit Hilfe von sogenannten Designer-Mikroorganismen hergestellt. Dieses künstlich hergestellte Insulin ähnelt in der molekularen Struktur dem menschlichen Insulin fast bis aufs letzte Detail – ein Beispiel für die Gruppe der Biologika, das weit verbreitet ist.

In der Medizin werden mittlerweile viele Arzneimittel auf diese Art und Weise hergestellt. Neben Diabetes sind etwa entzündliche Autoimmunerkrankungen wie eine rheumatoide Arthritits, Psoriasis oder Krebsleiden Einsatzgebiete für Biologika. In den allermeisten Fällen werden gentechnisch veränderte Bakterienstämme dazu angetrieben, Stoffe herzustellen, die körpereigenen Stoffen sehr ähneln.

Aufgrund ihrer biotechnologischen Herstellung und Ähnlichkeit zu biologisch vorkommenden Stoffen nennt man sie Biologika oder auch Biologicals. Was sich seit Mitte der 80er Jahre langsam entwickelte, ist mittlerweile einer der am schnellsten wachsenden Märkte der Pharmaindustrie. Immer mehr Biopharmazeutika finden sich in immer mehr Anwendungsgebieten in der Medizin. Mittlerweile gibt es über 270 verschiedene Wirkstoffe – auch die gegen SARS-Cov-2 eingesetzten mRNA-Impfstoffe zählen dazu.

„Biologicals bieten ein enormes Potenzial. Wir können jedes Protein des Körpers nachbauen und bei Bedarf sogar verbessern“, sagt Professor Gerd Bendas aus der Fachgruppe Pharmazie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

Großes Potenzial

Der Onkologe Professor Hans-Georg Kopp weist auf die Möglichkeiten in der Krebsbehandlung hin und sieht dort großes Potenzial für den Einsatz von Biologika. „Noch vor zehn Jahren gab es bei vielen Krebsarten kaum Angriffspunkte für eine Therapie“, sagt der Chefarzt der Abteilung der molekularen und pneumologischen Onkologie am Robert-Bosch-Krankenhaus in Stuttgart. „Heutzutage haben wir bei vielen einen Ansatz.“ Zwar bedeute im Falle von Tumoren therapierbar nicht auch heilbar, aber es ließen sich Lebenszeit und - qualität durch die Therapie gewinnen, erklärt Kopp und fügt an: „In den nächsten Jahren wird es für die allermeisten Tumorarten Therapieansätze geben. Es laufen derzeit so viele klinische Studien wie nie zuvor.“ Biologika durchlaufen dabei dieselben Studienphasen wie alle anderen Medikamente.

Bei vielen Krankheiten sind die Behandlungschancen heutzutage aufgrund der Biologika besser. Seien es neu entwickelte Impfstoffe, symptomatische Verbesserungen bei chronischen Erkrankungen oder in der Tumortherapie. Ein Medikament so im Labor zu entwickeln, dass es präzise dort wirkt, wo es soll, ist aber eine Herausforderung. Das ist ein Grund dafür, warum Biologika noch nicht flächendeckend zur Therapie von Krankheiten zum Einsatz kommen.

Allergie-Risiko

Dass sie nur dort wirken, wo sie sollen, ist nicht die einzige Problematik der Biologicals. Mitunter müssen Patienten auch ergänzende Medikamente einnehmen, die verhindern, dass der Körper sich gegen die Biologika mit Antikörpern zur Wehr setzt. Allergische Reaktionen und Unverträglichkeiten sind möglich. 

Arzneistoffe etwa, die auf dem Prinzip von zielgerichteten Antikörpern beruhen, benötigen eine klare Zielstruktur, die im Optimalfall nur auf der Zielzelle zu finden ist – und auch keiner anderen, körpereigenen Struktur ähnelt. Das heißt vereinfacht gesagt: Biologika sollen die kranken Zellen angreifen, aber gesunde in Ruhe lassen.

Beispiel Rheuma: Biologika, die hier zum Einsatz kommen, sind darauf programmiert, bestimmte entzündungstreibende Signalstoffe einzufangen, so dass die Patienten weniger Beschwerden haben. Aber nicht immer lässt sich eine solche Struktur isolieren. Ohne diese klare Struktur jedoch wird jeder Antikörper zu einem stumpfen Schwert und mitunter sogar schädlich für den menschlichen Körper. Hinzu kommt, dass Biologika korrekt gehandhabt werden müssen. dpa